Psychische Erkrankungen

MPS - mulitple Persönlichkeits- bzw Identifikationsstörung

Borderline- Persönlichkeitsstörung / Enstehung, Diagnostik

Borderline-Persönlichkeitsstörung / Ursachen und Therapie

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Multiple Persönlichkeitsstörung - heutzutage meist als "Dissoziative Identifikationsstörung" bezeichnet - gilt als seltenes Phänomen und stellt noch immer eine höchstumstrittene Diagnose dar.
Noch immer wird sie selbst in Fachkreisen und von einigen Institutionen wie Krankenkasse u.ä. nicht von allen annerkannt.
Im Volksbild assoziieren die meisten "monströses, schreckliches, abartiges und widernatürliches" mit dem Begriff "Multiple Persönlichkeit" - die in dem Zusammenhang meist zuerst zitierte Geschichte von "Dr. Jekyll und Mr. Hyde" ist nur eine von ihnen. An diesem "Phänomen" erkrankte Frauen und Männer werden oftmals jahre- und jahrzehntelang unter unzutreffenden Diagnosen - wie z.B. Borderline oder Schizophrenie - erfolglos therapiert. Nicht selten werden sie auch aufgrund ihres komplizierten Verhaltens, dem wechselnden Auftreten und Erscheinungsbild und oftmals auch wegen ihrem nicht zur gegenwärtigen Situation passenden Verhaltens etc unter "Hysterie" oder "Wichtigmacherei" abgehakt.

Stellt sich also die Frage - was ist denn nun eigentlich eine dissoziative Störung?



1. Definitionsversuch

Allgemein erläutert ist Dissoziation die Fachbezeichung für "Aufspalten".
Ähnlich wie sich unter bestimmten Voraussetzungen und Handlungsabfolgen in der Chemie Moleküle in kleinere Bestandteile aufspalten, kann sich unter gegebenen Umständen eine Gesamtpersönlichkeit in verschiedenste kleine Teilpersönlichkeiten aufsplittern.
Der Begriff der "Dissoziation" steht in der Psychologie also für Zerfall eines geordneten Bewußtseinszusammenhangs. (1)

Das internationale Diagnostikhandbuch für psychische Störungen (DSM-III-R) definiert die Multiple Persönlichkeitsstörung wie folgt:

A) Existenz von zwei oder mehr unterschiedlichen Persönlichkeiten oder Persönlichkeitszuständen innerhalb einer Person (jede mit einem eigenen, relativ überdauernden Muster, die Umgebung und sich selbst wahrzunehmen, sich auf sie zu beziehen und sich gedanklich mit ihnen auseinanderzusetzen).

B) Mindestens zwei dieser Persönlichkeiten oder Persönlichkeitszustände übernehmen wiederholt die volle Kontrolle über das Verhalten des Individuums.

C)Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche Informationen zu erinnern, die für eine einfache Vergeßlichkeit zu ausgeprägt ist

D) Nicht bedingt durch eine organische Störung (z.B. eine Epilepsie) oder durch psychotrope Substanzen ( z.B. Intoxikation oder Entzugssyndrom)

Dabei ist wichtig, daß jede Persönlichkeit vollständig vorhanden ist, mit eigenen Erinnerungen, Verhaltensweisen, Vorlieben manchmal auch mit eigenem Erscheinungsbild. Es ist nicht ungewöhnlich, daß die gerade dominierende Persönlichkeit in großem Kontrast zu den anderen vorhandenen Persönlichkeiten und auch zur "Gastgeberin" (Host) steht.
Oftmals wähnen sich einige der Persönlichkeiten "alleine" im Persönlichkeitssystem und streiten mit Nichtwissen das Vorhandensein anderer "Mitpersonen" ab.
Wechsel der Persönlichkeit

Damit eine Person verschwindet und eine andere auftaucht, genügt oft nur ein kleiner äußerer Anreiz. Dies können bestimmte Situationen, Schlüsselreize (Sinneseindrücke), bestimmte Personen aber auch von Tätern vorgebene Programme sein.

Während nun andere Persönlichkeiten (Fachbegriff: Alters) die Kontrolle über den Körper und das Bewußtsein übernehmen, besteht für einige wenn nicht alle weiteren Persönlichkeiten in dieser Zeit ein Gedächtnisverlust.



2. Was kann zu einer Aufspaltung der Persönlichkeit führen?

Die Überschrift könnte auch treffender umformuliert werden in: "Wieviel muß ein Mensch erleiden, wieviel Qual und Leid ertragen - um sich als vorranigig einzigste Überlebenschance aufzusplitten, sich "wegdenken aus dem eigenen Körper", und/oder Zusatzpersönlichkeiten zu erfinden?"
Die Antwort ist ebenso erschreckend wie einfach: VIEL.

Laut einer Studie des anerkannten US-amerikanischen Traumaforschers Putnam liegt die Ursache der Multiplen Persönlichkeit ausschließlich in einem Trauma vor dem 5. Lebensjahr. Er geht davon aus,daß in 96 Prozent aller Fälle fortgesetzte sexuelle oder psychische Mißhandlung bzw Vernachlässigung ursächlich für die Ausprägung einer dissoziativen Störung sind. Seiner Aussage nach erfolgt die Traumatisierung der fehlenden 4 Prozent durch das Erwachen aus der Narkose während einer Operation.



3.Neigung zur Multiplen Persönlichkeit

Um die an und für sich völlig normale Fähigkeit zur Dissoziation zu beschreiben, möchte ich an dieser Stelle den kanadischen Psychiater Colin Ross - einer der Pioniere in der MPS-Forschung - zitieren:
"Jede normale hochsuggestible Psyche besitzt die Fähigkeit, amnestische Barrieren zu errichten.....MPS ist eine gesunde, vernünftige ....Störung, die aus den Fähigkeiten der normalen Psyche entsteht....MPS ist keine phantastische Kuriosität, bei der es mehr als eine Person im selben Körper gibt. Es gibt nur eine Person - eine Mißbrauchsüberlebende - , die sich vorgestellt hat, es gäbe andere Leute in ihrem Innern, um zu überleben. Dies ist eine der Anpassung dienende Verwendung der menschlichen Vorstellungskraft, die zumindest rudimentär anscheinend in einem großen Teil der Bevölkerung vorhanden ist. Da sexueller und körperlicher Mißbrauch in der Kindheit so verbreitet ist und die Fähigkeit, andere Persönlichkeitsanteile zu schaffen, so verbreitet ist, sollte MPS alles andere als selten sein."

Die Diplompsychologin Michael Huber hebt in ihrem Buch "Multiple Persönlichkeiten - Überlebende extremer Gewalt" (siehe Buchtips) drei Bedingungen für die Entstehung von MPS besonders hervor:
"Die Tatsache, als Mädchen auf die Welt zu kommen:
eine besonders gute Fähigkeit zu dissozieren und
schwerste Traumata in der Kindheit.
Denn nur, wer sehr viel Gewalt erlebt, wird multipel."



4.Gewalterlebnisse in der Kindheit

Ich möchte an dieser Stelle bewußt verzichten auf Erfahrungsberichte, anschauliche Beispiele, welche Erlebnisse im Detail zu einem so schweren Trauma führen können, so daß für Betroffene die einzige Überlebenschance im "Aufsplitten" besteht.

Jeder weiß, welche vielfältige Arten von Gewalt es gibt und dank der inzwischen immer besser werdenden Aufklärung können sich viele etwas unter dem Begriff "sexueller Mißbrauch" an Kindern etwas vorstellen.
Sehr vereinfacht ausgedrückt ist jegliche Handlung, die zur Befriedigung des Sexualtriebes eines Erwachsenen von einem Kind gefordert wird, sexueller Mißbrauch. Das beinhaltet das Aufzwängen ständiger sexueller Äußerungen, sexuelle Berührungen, das Zwingen zum Zugucken bei sexuellen Handlungen ......und noch viel mehr bis hin zu gewaltvollem Verkehr mit dem Kind. Im Vordergrund steht dabei immer die Lustbefriedigung und das Gefühl der Macht auf Seiten des Täters. DAS ist die eine Seite.

Wie aber sieht die andere Seite aus?
Berührungen sind lebensnotwendig - kaum geboren braucht ein Säugling für die adäquate Entwicklung seiner Persönlichkeit Zärtlichkeit, liebevolle Berührungen, Streicheln. Jeder weiß um dieses natürliche Bedürfnis nach Nähe, Schutz, Liebe, Zärtlichkeit.

Es ist nicht schwer zu erraten, wie sehr das Weltbild eines Kindes Kopf stehen muß, wenn aus diesen natürlichen Zärtlichkeiten verbrecherische sexuelle Handlungen entstehen - abgesehen von den großen körperlichen Schmerzen. Die Folgen von Mißhandlung und Mißbrauch in der Kindheit sind gravierend und "wachsen nicht aus", sie werden weder vergessen noch verjähren sie.

Sie belasten Opfer oft bis ins hohe Alter und mindern die natürliche Lebensqualtiät erheblich ab.

Aus diesem Blickwinkel drängt sich nahezu die Frage auf:
Ist MPS also wirklich eine monströse abartige Erscheinung, eine Hysterie - oder ist nicht viel eher das, was VOR dem Aufsplitten passierte, ein Verbrechen, was an Abscheulichkeit und Unmenschlichkeit nicht mehr zu überbieten ist? Denn wie sonst sollte man Gewalt in jeder Form bezeichnen an Etwas, was klein, verletzlich und unschuldig ist und dem Schutz jedes Erwachsenen unterstellt ist?

(Dies spiegelt allerdings nur meine persönliche Meinung wieder und läßt sich nicht durch Statistiken und repräsentativen Umfragen untermauern.)



5. MPS im Alltag

Grundsätzlich ist die Festsetzung der Diagnose MPS unheimlich schwierig.
Ich möchte an dieser Stelle eine verkürzte Ausgabe der "Checkliste" einstellen, die ich einem meiner persönlichen Lieblingsbücher entnommen habe:
"Schmetterlingsfrauen" Ein Selbsthilfebuch für Frauen mit mulitpler Persönlichkeit", Autorin: Sabine Marya

Diese Checkliste ist für Frauen, die vermuten, eventuell selbst von MPS betroffen zu sein: vielleicht sind der einen oder anderen ein paar der Symptome vertraut:

- Ich habe das Gefühl, daß in meinem Körper zwei oder mehrere unterschiedliche Persönlichkeiten existieren, jede mit einem ganz eigenem Leben, eigenem Empfinden, eigenem Umfeld, eigenem Verhalten, eigenen Wünschen, Interessen, Vorlieben und Abneigungen.
- Ich habe Zeitverluste. Manchmal fehlen mir Minuten, in denen ich nicht weiß, was gerade passiert ist, aber es können auch Stunden oder sogar Tage sein.
- Ich höre Stimmen in meinem Kopf, die sich mit mir und/oder untereinander unterhalten und oder/mir Anweisungen geben und/oder weinen, jammern, wimmern, fluchen, schreien, toben
- Manchmal finde ich mich an einem ganz anderen Ort wieder, und ich weiß nicht, wie ich dahin gekommen bin. In meinem Schrank hängt Kleidung, über deren Herkunft ich nichts weiß. Oft widerspricht sie völlig meinem eigenen Geschmack.
- Manchmal erzählen mir Menschen von Dingen, die ich getan/gesagt haben soll, und ich kann mich nicht daran erinnern.
- Meine Fähigkeiten wechseln stark. Etwas, das ich eben noch perfekt beherrscht habe, scheint im nächsten Augenblick verschwunden zu sein.
- In meinem Tagebuch entdecke ich unterschiedliche Handschriften, obwohl nur ich darin schreibe
- Mein Körperempfinden wechselt innerhalb kurzer Zeit von einem Extrem ins andere: Einen Moment spüre ich den Körper gar nicht, dann wieder fühle ich plötzlich Schmerzen, im nächsten Moment fühle ich mich wieder gesund
- Ich habe Angst, daß mich andere für verrückt erklären oder halten
- Ich habe ständig Angst davor, die Kontrolle zu verlieren

Dies ist nur ein kleiner Auszug aus den vielen teilweise quälenden Symptomen, mit denen Betroffene oft täglich zu kämpfen haben. Ich finde, sie hätten ein bißchen Verständnis, Anteilnahme und vor allem wesentlich mehr Toleranz verdient.



6. Therapie

Die Therapie und Behandlung bei Vorliegen von Dissoziativer Störung ist grundsätzlich diffiziel und erstreckt sich fast immer über einen langen Zeitraum. Erklärbar ist dies durch das Erscheinungsbild der MPS: sie ist keine Störung mit einer Einzelsymptomatik - oftmals ist sie durch die Gewalterfahrungen an viele andere Symptome wie Schlafstörungen, Verhaltensstörungen, Eßstörungen, Angsterkrankungen, Selbstverletzungstendenzen etc etc gekoppelt.
Gezielte und konsequente Hilfe kann lediglich ein erfahrener Traumatherapeut bieten - Vertrauen, Offenheit und viel Geduld sind nur eine der wenigen Voraussetzungen, die beiderseits in der Therapie eingebracht werden müssen.
Über das Therapieziel ist man in Fachkreisen oft ebenso uneinig wie über die Diagnose. Während es umstritten ist, ob Heilung bedeuten würde, alle "Teilpersönlichkeiten" zu einer einzigen Persönlichkeit verschmelzen zu lassen, so dient die Therapie in allen Fällen auf jeden Fall dazu: Sie soll es der Patientin/dem Patienten ermöglichen, das "tägliche Funktionieren" auf ein notwendiges Maß zu reduzieren und statt dessen "das Leben erlernen" - einfach nur leben. In seiner ganzen Bandbreite. Welcher Weg nun im einzelnen für jede Patientin - jeden Patient - angemessen ist, kann nur in der fachgerechten Einzeltherapie festgesetzt werden.

Abschließen möchte ich mit einem Satz aus dem Buch "Schmetterlingsfrauen" - ein Satz der mich tief beeindruckt hat und mir auch heute noch an vielen "schambehafteten Tagen" hilft, niemals die Hoffnung zu verlieren: ...." Es ist nicht meine Schuld, daß ich so wurde, wie ich jetzt bin. Das, was man mir angetan hat, hat uns spalten lassen, um zu überleben. Es ist ihre Schuld, weil sie mir das alles antaten.....ICH BIN UNSCHULDIG! Wir haben ein Recht auf ein gesundes Leben, und deshalb werden wir es uns Stück für Stück neu erobern!"

Ich würde niemals behaupten, daß es leicht ist: Aber eines kann ich versichern: ES LOHNT SICH.